Es begann in den 1840er-Jahren
Als Bilder erstmals um die Welt reisten

Ob bei der Selbstdarstellung, beim Konsumieren von News oder bei der politischen Werbung – Bilder spielen heute eine riesige Rolle. So manches Foto erobert in Sekunden die Welt. Das war nicht immer so.
Publiziert: 11.01.2018 um 16:24 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 01:50 Uhr

Myriaden von Selfies, lustige Tierbilder à gogo, mehr Karikaturen von Donald Trump, als man je anschauen kann: Ohne Bild geht heute – vor allem im Internet – fast nichts mehr. Allein auf der Social-Media-Seite Instagram werden pro Tag weltweit über 90 000 neue Bilder hochgeladen.

Ganz anders war es vor dem Zeitalter des Internets: Es gab nur wenige handverlesene Fotos, die Menschen auf der ganzen Welt zugänglich waren. Umso grösser war dafür ihr Effekt: Der Absturz des Luftschiffs Hindenburg, das berühmte «Napalm-Mädchen» oder das erste Foto der Erde aus dem Weltraum – das sind nur einige der ikonischen Aufnahmen, die Millionen von Menschen geprägt haben.

Mehr als jedes andere Bild symbolisiert dieses Foto die amerikanische Tapferkeit im 2. Weltkrieg: Siegreiche Soldaten richten die US-Flagge auf der japanischen Insel Iwo Jima auf.
Foto: Keystone/akg-Images
Die Erde, fotografiert auf der Mondlandemission Apollo-11. Zum ersten Mal sahen Menschen weltweit, wie klein die Erde im Weltraum wirkt.
Foto: Nasa
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Und noch vor hundert Jahren gab es gar keine solchen Fotos, die weltweite Beachtung fanden. «Damals enthielten auch die Zeitungen kaum Bilder», sagt Juri Jaquemet, Kurator für Informations- und Kommunikationstechnologien am Museum für Kommunikation in Bern. Dafür waren Bilder viel zu langsam unterwegs: Es gab keinen Weg, sie in kurzer Zeit über eine weite Distanz zu übertragen. Die einzige Möglichkeit war die Post – dabei waren die Bilder aber im besten Fall mehrere Tage unterwegs. So bekamen die Menschen nie Fotos aktueller Begebenheiten zu sehen.

Bilder lernen fliegen

Das änderte sich mit der Entwicklung der sogenannten Bildtelegrafie: Damit konnte ein Foto neu innert Minuten um den Erdball gesendet werden. Das veränderte vieles. Etwa die polizeiliche Arbeit, die militärische Nachrichtenübermittlung und auch die Zeitungswelt. Denn plötzlich war das Bild genauso schnell wie die Nachricht selbst. «Fortan rissen sich die Zeitungen um Fotos zu aktuellen News», sagt Annette Vowinckel, Medienwissenschaftlerin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Und das Publikum gewöhnte sich rasch daran, immer überall dabei zu sein.

Begonnen hat die Entwicklung der Bildübertragung schon in den 1840er-Jahren – lange bevor die Menschen überhaupt mit der Fotografie vertraut waren. «Dennoch waren Bilder schon damals sehr wichtig», sagt Historiker Juri Jaquemet. Beispielsweise erzählten Holzstiche Begebenheiten oder dienten der politischen Propaganda. Und in grösseren Städten tourten sogenannte Weltschauen: Ausstellungen, in welchen grossformatige Bilder vergangene Geschehnisse erzählten. «Auch damals interessierten sich die Menschen vor allem für Sex and Crime», sagt Jaquemet. Abgebildet waren zum Beispiel Eisenbahnunglücke oder Nachstellungen von Verbrechen, wie der Mord an der österreichischen Kaiserin Elisabeth, genannt «Sissi».

Erste einfache Botschaften

Den Grundstein zur schnellen Übertragung von Bildern legten der schottische Uhrmacher Alexander Bain und der englische Erfinder Frederick Bakewell Mitte der 1840er-Jahre. Unabhängig voneinander konstruierten sie zwei ähnlich aufgebaute Apparate, die Nachrichten oder einfache Schwarz-Weiss-Bilder übertragen sollten. Dabei wurde die Botschaft mit einer elektrisch nicht leitenden Tinte auf einen mit Zinnfolie überzogenen Zylinder übertragen. Ein Stift tastete die Folie ab und registrierte, an welchen Stellen der Stromfluss durch die Tinte unterbrochen wurde. Diese elektrische Information übermittelte der Apparat an eine Empfängermaschine, die eine Kopie der Botschaft malte. Diese frühen Apparate funktionierten scheinbar. Zumindest Bakewell gelang es nachweislich, einige Bilder zu übertragen. Doch für die praktische Anwendung waren die ersten Fernkopierer noch zu fehleranfällig und ungenau.

Ein eisernes Monster

Einen Schritt weiter ging der italienische Physiker Giovanni Caselli. Im Jahr 1856 stellte er seinen Pantelegrafen vor, ein Monster von einem Gerät: Zwei Meter hoch und aus rund 400 Kilogramm Eisen gegossen. Gerade wegen seiner Grösse war der Pantelegraf präziser als die beiden Geräte zuvor, sagt die Technikhistorikerin Julia Zons von der Uni Stuttgart, die ihre Dissertation über den eisernen Bildtelegrafen geschrieben hat. Denn das Auslesen des zu übermittelnden Bildes erfolgte durch ein Pendel, und ein Pendel ist umso präziser, je grösser es ist. Finanziert vom französischen Herrscher Napoleon III wurde der Pantelegraf praktisch genutzt, vor allem für Börsengeschäfte. Es gab beispielsweise Sende- und Empfängermaschinen in Paris und Lyon, wo sie durch die Fernübermittlung von Unterschriften den Handel mit Wertpapieren beschleunigten. Noch immer waren die Botschaften allerdings ausschliesslich schwarz-weiss. Und als 1870 der Deutsch-Französische Krieg ausbrach, verschwand der Pantelegraf komplett. «Möglicherweise hat man die Apparate eingeschmolzen und das Gusseisen für Kanonen gebraucht», sagt Julia Zons.

Danach blieb die Entwicklung der Bildübertragung jahrzehntelang stehen. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts gelang dem deutschen Physiker Arthur Korn die Übermittlung eines Bildes in Graustufen. Er nutzte dazu die Eigenschaft des chemischen Elements Selen, das je nach Lichteinfall seinen elektrischen Widerstand ändert. Zur Übertragung durchleuchtete er das Foto. An jedem Bildpunkt wandelte eine Fotozelle aus Selen die Helligkeit in ein elektrisches Signal um. Dieses sendete der Apparat an die Empfängermaschine. Mit dieser Technik konnten nun zum ersten Mal auch Fotografien über weite Strecken telegrafiert werden.

Zunächst interessierten sich grosse europäische Zeitungen für das neue Verfahren. So tauschten bald der Londoner Daily Mirror, L’lllustration in Paris und der Berliner Lokalanzeiger Fotos über Bildtelegrafie aus. Und auch die Polizei nutzte die neue Technik: Im Jahr 1908 wurde das erste Fahndungsfoto von Paris nach London übertragen, was prompt die Verhaftung eines Juwelenräubers ermöglichte.

Bildübertragung ruckelt

Doch Routine war die Bildübertragung damals noch nicht, zu fehleranfällig war die Technik. Telefonlinien konnten jederzeit ausfallen und bei der Übertragung entstanden Verzerrungen – je länger die Distanz, desto stärker. Zudem war die Nutzung der Telefonlinien damals extrem teuer. Noch im Jahr 1929 kostete ein dreiminütiger Anruf von der Schweiz in die USA rund 3000 Franken. Die Übermittlung eines Bildes dauerte länger: je nach Bild zwischen zehn und 20 Minuten.

Richtig Schub erhielt die Bildtelegrafie deshalb erst ab Mitte der 1930er Jahre. Inzwischen gab es bessere Sende- und Empfängergeräte und vor allem kompaktere: Einen Bildtransmitter konnten Fotografen nun in einem etwa 10 Kilogramm schweren Koffer überallhin mitnehmen. Das machte sich als erstes die US-Fotoagentur Associated Press zunutze. Die Agentur leaste ausserdem ganze Bündel von Telefonleitungen und handelte für sich eine Flatrate aus. Jetzt gab es erstmals Leitungen, die ausschliesslich der Übertragung von Bildern dienten. Ab 1935 verschickte die Agentur so Fotos in die ganze Welt.

Untergang des grössten Flugobjekts aller Zeiten: Das Luftschiff Hindenburg stürzte 1937 in Lakehurst bei New York ab.
Foto: Keystone/AP

Zu den ersten Ereignissen, die auf diese Weise in Bildern um die Welt reisten, gehörte der Absturzes des Luftschiffs Hindenburg im Jahr 1937. Es war das grösste Flugobjekt aller Zeiten. «Heute lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, was die Bilder dieser Tragödie bei den Menschen auslösten», sagt Annette Vowinckel, die ein Buch über die Entwicklung des Fotojournalismus geschrieben hat. «Aber sicherlich haben sie die öffentliche Meinung beeinflusst.» Tatsache ist: Nie mehr wurde ein Luftschiff derselben Bauart konstruiert.

Bilder als Propagandamittel

Mittlerweile gab es kaum mehr Zeitungen ohne aktuelle Fotos. «Damals lebten viele Blätter davon, dass sie zwei Mal am Tag die neuesten Nachrichten brachten», sagt Vowinckel. Jetzt wurden zunehmend die Bilder selbst zur Nachricht. «Die Leute kauften diejenige Zeitung, die das erste Bild hatte.» In den folgenden Jahrzehnten wurden immer mehr Fotos per Bildtelegrafie um die Welt gesendet. Im Jahr 1947 etwa versendete allein die Associates-Press-Zentrale in New York pro Tag 45 Aufnahmen.

Das Bild zeigt den Schrecken des Krieges, wie kaum ein anderes: Kinder rennen vor einer Napalmwolke davon. Das Foto aus dem Vietnamkrieg ist eines der einflussreichsten, die je geschossen wurden.
Foto: Keystone/AP

Die Wirkung mancher dieser Fotos war immens. Beispielsweise die berühmte Aufnahme des «Napalm-Mädchens» aus dem Vietnamkrieg. Das nackte Mädchen, das vor der bedrohlichen Napalm-Wolke im Hintergrund flieht, berührte Millionen von Menschen und wurde zur Ikone gegen den Vietnamkrieg. Für die Gegner des Krieges in den USA die perfekte Propaganda. Und zwar ungeachtet dessen, dass die USA mit diesem Angriff überhaupt nichts zu tun hatte.

Oder eines der ersten Fotos der Erde aus dem Weltraum, «Earthrise», aufgenommen während der Apollo 11-Mission 1969: «Es führte den Leuten weltweit vor Augen, wie klein und verletzlich die Erde inmitten des leblosen Weltalls wirkte», erzählt Juri Jaquemet vom Museum für Kommunikation in Bern. «Das verlieh der Umweltbewegung damals grossen Auftrieb.»

Ab den 1980er-Jahren kam dann das Faxgerät in die Büros und Haushalte – eine Weiterentwicklung der Bildtelegrafen. Und heute, in der Zeit der Digitalisierung und der Smartphones verbreitet alle Welt Bilder – und ihre Anzahl explodiert weiter ins Unüberschaubare.

Schweizer Ur-Fax

Schon vor dem schottischen Uhrmacher Bain und dem englischen Erfinder Bakewell hatte ein Schweizer die Fernübertragung von Bildern erfunden: Pater Athanasius Tschopp entwickelte im Kloster Einsiedeln bereits in den 1840er-Jahren einen Apparat, den er Typotelegraph nannte. Dessen Kernstück war eine Walze, auf welche sich mit Farbe eine Nachricht schreiben liess. Eine elektrische Nadel tastete die sich drehende Walze ab und übertrug die Nachricht als elektrisches Signal an das Empfangsgerät. Dieses erstellte mithilfe einer Schreibfeder auf einer mit Papier umwickelten Walze eine Negativkopie der Botschaft. Obschon Tschopps Apparat funktionierte, konnte er ihn nicht weiterentwickeln – der Bundesrat lehnte es ab, das zu finanzieren.

Schon vor dem schottischen Uhrmacher Bain und dem englischen Erfinder Bakewell hatte ein Schweizer die Fernübertragung von Bildern erfunden: Pater Athanasius Tschopp entwickelte im Kloster Einsiedeln bereits in den 1840er-Jahren einen Apparat, den er Typotelegraph nannte. Dessen Kernstück war eine Walze, auf welche sich mit Farbe eine Nachricht schreiben liess. Eine elektrische Nadel tastete die sich drehende Walze ab und übertrug die Nachricht als elektrisches Signal an das Empfangsgerät. Dieses erstellte mithilfe einer Schreibfeder auf einer mit Papier umwickelten Walze eine Negativkopie der Botschaft. Obschon Tschopps Apparat funktionierte, konnte er ihn nicht weiterentwickeln – der Bundesrat lehnte es ab, das zu finanzieren.

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Das erste Fax der Welt steht heute noch im Kloster Einsiedeln. Gebaut hat es der Pater Athanasius Tschopp Anfang der 1840er-Jahre.
Foto: Kloster Einsiedeln

Vor der Zeit

Für den Uhrmacher Alexander Bain, der 1843 einen der ersten Fernkopierer konstruierte, war die Bildübermittlung eigentlich nur ein Nebenschauplatz – sein Hauptanliegen war die Synchronisierung der Zeit. Denn damals gab es noch keine landesweit, geschweige denn weltweit einheitliche Zeitfestsetzung: Die in einem Gebiet gültige Zeit legte einfach der lokale Uhrmacher fest. Erst mit dem Aufkommen der Telegrafie und der Eisenbahn wurde eine einheitliche Zeit nötig – schon nur um Fahrpläne aufstellen zu können. Um eine ähnliche Art der Synchronisierung wie bei der Zeit ging es auch bei der Bildübertragung, nur deshalb interessierte sich der Tüftler Bain dafür. Damit das Bild korrekt übertragen wurde, mussten das Sende- und das Empfängergerät komplett synchron laufen – ein Problem, mit dem die Bildtelegrafie noch im 20. Jahrhundert kämpfte.

Für den Uhrmacher Alexander Bain, der 1843 einen der ersten Fernkopierer konstruierte, war die Bildübermittlung eigentlich nur ein Nebenschauplatz – sein Hauptanliegen war die Synchronisierung der Zeit. Denn damals gab es noch keine landesweit, geschweige denn weltweit einheitliche Zeitfestsetzung: Die in einem Gebiet gültige Zeit legte einfach der lokale Uhrmacher fest. Erst mit dem Aufkommen der Telegrafie und der Eisenbahn wurde eine einheitliche Zeit nötig – schon nur um Fahrpläne aufstellen zu können. Um eine ähnliche Art der Synchronisierung wie bei der Zeit ging es auch bei der Bildübertragung, nur deshalb interessierte sich der Tüftler Bain dafür. Damit das Bild korrekt übertragen wurde, mussten das Sende- und das Empfängergerät komplett synchron laufen – ein Problem, mit dem die Bildtelegrafie noch im 20. Jahrhundert kämpfte.

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