«Corona hat uns noch näher zusammengebracht»
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Chuck Leavell zur Band-Dynamik:«Corona hat uns noch näher zusammengebracht»

Keyboarder Chuck Leavell über die Rolling Stones
«Mick ist ein sehr disziplinierter Mensch»

Die Rolling Stones rocken kommende Woche in der Schweiz. Mit ihnen auch Chuck Leavell, der die Band seit vier Jahrzehnten auf der Bühne begleitet. Er erklärt, wie die Stones ticken.
Publiziert: 11.06.2022 um 21:59 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2022 um 13:55 Uhr
Interview: Dominik Hug

Er tourt seit 40 Jahren mit den Rolling Stones um die Welt, spielt auch auf ihren Alben mit: Keyboarder Chuck Leavell (70) erklärt, wie Mick Jagger (78), Keith Richards (78) und Ronnie Wood (75) ticken. Und was die legendäre Band, die am nächsten Freitag im Berner Wankdorf-Stadion auftreten wird, noch für Pläne hat.

Wie läuft die Tournee?
Chuck Leavell: Fantastisch. Die Möglichkeit, 60 Jahre Rolling Stones zu feiern, ist schlichtweg phänomenal. Die Reaktionen der Fans sind sensationell.

Alle wundern sich: Wie schaffen es Mick Jagger und Keith Richards in ihrem Alter bloss, fast drei Stunden auf der Bühne abzurocken?
Mick ist ein sehr disziplinierter Mensch, er ist sich seines Körpers sehr bewusst, trainiert regelmässig, auch seine Stimme. Und nach 60 Jahren hat man den Dreh halt irgendwann auch raus. Ich wünschte, wir könnten vier Stunden auf der Bühne stehen. Keith hat eine unglaubliche Konstitution, das hat mit seinen Genen zu tun. Schon sein Vater Bert begleitete uns bis ins hohe Alter auf Tournee, er war ein harter Kerl, das ist auch Keith.

Die Rolling Stones bei einem Auftritt Anfang Woche in München.
Foto: imago
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Ihr Lieblingswitz über Keith Richards?
Wir Menschen sollten uns alle Gedanken darüber machen, welche Welt wir eines Tages Keith Richards hinterlassen werden (lacht).

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Sie sind seit 40 Jahren Keyboarder bei den Rolling Stones. Ist da auch eine Freundschaft entstanden oder ist es bloss eine musikalische Kooperation?
Wir sind natürlich sehr gut befreundet, so auch unsere Frauen. Wir haben zusammen unsere Kinder aufwachsen sehen, ebenso unsere Enkel. Mick und Keith schicken mir seit Urzeiten Weihnachtsgeschenke. Ronnie, der ein begnadeter Maler ist, hat mir kürzlich ein Bild geschenkt. Ich könnte mir nicht vorstellen, über 1200 Konzerte mit Menschen zu geben, die mir nicht persönlich sehr ans Herz gewachsen sind.

Wie verbringen Sie die Tage zwischen den Konzerten?
Mick geht gerne in Museen. Viele Städte kennen wir ja schon seit Jahrzehnten, in vielen Städten haben wir auch Freunde. Wegen Corona befinden wir uns momentan allerdings in einer ziemlich kleinen Bubble, was den Spassfaktor leider ein bisschen reduziert. Dafür verbringen wir in der Band mehr Zeit zusammen.

Sie gelten als musikalischer Direktor der Stones ...
Ich muss immer lachen, wenn ich das höre. Mick und Keith sind die musikalischen Direktoren. Was die Musik angeht, bin ich vielmehr das organisatorische Gewissen der Stones: Seit der «Steel Wheel»-Tournee 1989 zeichne ich alle Noten auf, notiere jede Nuancen der Songs. Wann beispielsweise setzen die Backing Vocals ein oder das Gitarrensolo? Die Jungs kommen also zu mir, wenn sie Fragen haben über einzelne Songs. (Das Telefon klingelt.) Oh, das ist Mick! Ich arbeite gerade an der Setliste für unseren Auftritt in Birmingham. Ich rufe ihn nachher zurück.

Sie stellen die Setlisten für die Konzerte zusammen?
Richtig. Ich führe auch Buch darüber, welche Songs wir in welcher Stadt gespielt haben. Wir führen Daten über unseren Katalog bei den Streamingdiensten: Welcher Song der Stones in welchem Land am meisten gehört wird. Oder welches Lied in welchem Land am meisten auf Youtube geklickt wurde. Die Leute in Südamerika mögen ja andere Lieder als die Fans in Europa. Das hat Einfluss darauf, wie ich die Setliste für jede Show zusammenstelle. Die dann aber natürlich noch abgenickt wird von Mick, Keith und Ronnie.

Hat sich die Dynamik innerhalb der Band verändert nach dem Tod von Charlie Watts 2021?
Natürlich. Wir denken jeden Tag an ihn. Wir erwarten ständig, dass er plötzlich wieder durch die Tür geschlurft kommt. Aber das wird leider nicht geschehen. Wir wussten, dass er krank war und nicht mit uns auf Tournee gehen konnte. Er gab Steve Jordan seinen Segen, für ihn einzuspringen. Und dann starb er plötzlich. Steve trommelt ein bisschen anders als Charlie, aber er ehrt ihn auch.

Sie selbst sind über 50 Jahre im Rock-'n'-Roll-Geschäft. Was ist die beste Lektion, die Sie in dieser Zeit gelernt haben?
Ein guter Zuhörer zu sein. Ich durfte während meiner Karriere mit einigen der grössten Musiker aller Zeiten zusammenarbeiten: Eric Clapton, George Harrison, David Gilmour ... Das wäre nicht möglich gewesen, wenn ich mich nicht auch persönlich für ihre Leben interessiert hätte und nicht empathisch gewesen wäre.

Wie lange werden die Stones noch die Stadien rocken können?
Diese Antwort weiss niemand. Keith sagte kürzlich: Alles, was er wisse, ist, dass die Stones jetzt auf Tournee sind. Aber was nachher passiert? Keine Ahnung! Tatsache ist, wir haben in den letzten Jahren ziemlich viel Musik aufgenommen. Auf mindestens ein weiteres Album darf man sich also noch freuen können.

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