Deal mit EU ist Geschichte
Parlament verzichtet auf letztes Wort beim Rahmenabkommen

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Das Rahmenabkommen mit der EU ist Geschichte. Doch niemand will sagen, wie dessen Begräbnis vonstatten gehen soll. Derzeit streitet man sich darum, wie die Sterbebegleitung fürs Abkommen ablaufen soll.
Publiziert: 22.03.2021 um 22:06 Uhr
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Aktualisiert: 06.04.2021 um 08:48 Uhr
Ruedi Studer und Pascal Tischhauser

Bern plant die Beerdigung des Rahmenabkommens. In Brüssel ist nichts mehr zu holen. Die Gespräche um Nachbesserungen der drei strittigen Punkte im EU-Rahmenabkommen sind gescheitert. Wie aber wird das Abkommen zu Grabe getragen? Niemand will sich daran die Finger verbrennen.

Die Wirtschaftsverbände, aber auch Parteiexponenten fordern, der Bundesrat solle Brüssel über das rasche Ableben des Abkommens informieren. Dem Vernehmen nach haben sich die Verbände in den letzten Tagen bei verschiedenen Departementen dafür stark gemacht, das Abkommen im Bundesrat zu bestatten – im Wissen darum, dass der Deal im Volk den Todesstoss erleiden würde. Und dass so ein hässlicher Abstimmungskampf vor den Wahlen im Herbst 2023 vermieden würde.

Wenn das Schweizer Volk das Abkommen niederstreckte, wäre das eine grössere Ohrfeige für Brüssel, als wenn der Bundesrat das Ableben vorwegnähme. Den Scherbenhaufen zusammenzukehren und einen neuen Anlauf zu nehmen, wäre für die Landesregierung laut den Wirtschaftsvertretern einfacher.

GLP-Fraktionschefin Tiana Angelina Moser wollte, dass das Parlament über das Rahmenabkommen befindet.
Foto: Keystone
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Aussenpolitiker nehmen Regierung Last nicht ab

Unter der Leitung von Tiana Angelina Moser (41, GLP), der Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission, hatten Parlamentarier dennoch versucht, das Aus fürs Abkommen zu verschleppen und es ins Parlament zu bringen. Das ist nach BLICK-Informationen gescheitert. Dies auch, weil viele Parteien eine Volksabstimmung übers Rahmenabkommen vor den Parlamentswahlen im Herbst 2023 vermeiden wollen.

Nutzen würde ein Abstimmungskampf ums Rahmenabkommen (InstA) eigentlich nur der SVP – und genau darum möchten die meisten das InstA schon vorher unter die Erde bringen. Zwar ist eine weitere Gesprächsrunde mit Staatssekretärin Livia Leu (60) angesetzt. Doch Beobachter fragen sich, was diese noch bringt. Der Bundesrat solle sich besser damit beschäftigen, welche Lösung er der EU statt des Abkommens unterbreite.

EU sieht sich getäuscht

So oder so dürfte die Enttäuschung Brüssels gross sein. Die Geduld der EU ist erschöpft. Das machte der deutsche Botschafter Michael Flügger (61) in der «NZZ» klar: «Die EU betrachtet das Abkommen nach vier Jahren als fertig verhandelt.»

Die EU-Kommission habe erwartet, dass es in den laufenden Gesprächen um Klärungen bei den Themen Lohnschutz, Unionsbürgerrechte und staatliche Beihilfen gehe, stattdessen strebe die Schweiz Nachverhandlungen an. Die EU sehe sich «getäuscht», sagt der recht neu in Bern angekommene Botschafter.

Das Abkommen gilt bei vielen Parlamentariern als toxisch. Die Schweiz hat Fehler gemacht in den Verhandlungen. Brüssel ist aber auch nicht gewohnt, dass die Bürger alles abschiessen können. Die über die Jahre laufend wechselnden EU-Ansprechpartner haben den Wert nie honoriert, dass die Schweizer Bevölkerung am Schluss entscheidet.

Unterstützerkomitee ohne Unterstützer

Wie verfahren die Situation in unserem Land ist, zeigt die Gründung der parlamentarischen Gruppe «Für eine Zukunft der Bilateralen» von FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (58). Sie sollte den Bundesrat bei seinen Klärungsbemühungen unterstützen – und «bei erfolgreicher Einigung mit der EU dem institutionellen Rahmenabkommen zum Durchbruch verhelfen».

Wenigstens 100 Parlamentsmitglieder wollte Portmann zusammentrommeln. Das Resultat nach drei Wochen: Gut zwei Dutzend Politiker machen mit. Mit Mitte-Nationalrat Lorenz Hess (59) hat sich ein designiertes Vorstandsmitglied aber schon wieder verabschiedet. Portmann war mit dem Gründungsakt vorgeprescht, was bei einigen Kollegen für Unmut gesorgt hatte.

«Viele stehen hinter dem Anliegen, wollen aber zuerst das Ergebnis mit Brüssel abwarten», erklärt sich Portmann. Die Gruppe sei aber nicht nur aufs Rahmenabkommen fixiert. Sollte dieses scheitern, sei es umso wichtiger, den bilateralen Weg zu sichern. «Wir werden so oder so aktiv bleiben, um konstruktive Lösungen zu finden – und zwar ohne EWR- oder EU-Beitritt.»

Gewerkschaften drängen auf Entscheid

Und auch die Gewerkschaften drängen auf einen klaren Entscheid: «Brüssel ist nicht bereit, unseren Lohnschutz im Rahmenabkommen zu akzeptieren. Das muss nun auch der Bundesrat anerkennen», sagt SGB-Chefökonom Daniel Lampart (52). Ein Abschluss des Rahmenabkommens sei deshalb Gift für den bisher erfolgreichen bilateralen Weg.

Dieser sei mit dem wuchtigen Nein zur Begrenzungs-Initiative erst vor kurzem bestätigt worden. Die bilaterale Zusammenarbeit könne man mit positiven Signalen an die EU weiter vertiefen, so Lampart. «Aktuell beispielsweise beim Impfpass.»

Der Bundesrat gibt auf
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Rahmenabkommen mit der EU:Der Bundesrat gibt auf
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