Die wichtigsten Fragen zu den beiden Krankenkassen-Initiativen
Wer profitiert? Wer muss bezahlen?

Am 9. Juni stimmen wir über die Prämienentlastungs-Initiative der SP und die Kostenbremse-Initiative der Mitte ab. Blick erklärt den Unterschied zwischen den beiden und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 14.05.2024 um 16:59 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2024 um 11:03 Uhr
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Sermîn FakiPolitikchefin

Sie sind das Sorgenthema Nummer 1: Die Krankenkassen-Prämien steigen seit Jahren und belasten die Haushalte bis hinauf in den Mittelstand. Der Grund für die steigenden Prämien sind steigende Kosten im Gesundheitswesen.

Und die Kosten steigen vor allem aus drei Gründen, wie Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) am Freitag ausführte: Weil wir immer älter werden, weil der medizinische Fortschritt viele Leistungen teurer macht und weil es Fehlanreize gibt, die Ärzte, Apotheker, Spitäler aber auch Patienten dazu verleiten, zu viel zu verordnen oder zu beziehen.

Zwei Parteien haben dem Kosten- und Prämienwachstum den Kampf angesagt: die SP und die Mitte. Die SP hat die Prämienentlastungs-Initiative lanciert, die Mitte die Kostenbremse-Initiative. Am 9. Juni stimmt die Schweiz darüber ab. Blick erklärt den Unterschied zwischen beiden.

In der Schweiz steigen die Gesundheitskosten ...
Foto: Keystone
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Was fordert die Prämienentlastungs-Initiative der SP?

Die Initiative verlangt, dass die Krankenkassenprämien eines Haushalts nicht mehr als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens ausmachen dürfen. Zudem soll der Bund künftig mindestens zwei Drittel der Prämienverbilligungen zahlen, die Kantone den Rest. Heute teilen sich Bund und Kantone die Prämienverbilligungskosten über alles gesehen hälftig auf, wobei die Unterschiede zwischen den Kantonen riesig sind.

Wer würde bei einem Ja profitieren?

Gemäss SP kommt die Initiative nicht nur Personen mit tiefen Löhnen zugute, sondern auch solchen mit mittleren Einkommen. Eine vierköpfige Familie mit einem Haushaltseinkommen von zusammen 9000 Franken netto spare monatlich mehrere Hundert Franken. Auch Einzelpersonen mit einem Netto-Einkommen von bis rund 5000 Franken würden profitieren.

Der Teufel steckt jedoch im Detail. Einigermassen klar ist der Begriff des verfügbaren Einkommens: Gemäss Bundesamt für Statistik bezeichnet der jedes Einkommen minus obligatorische Ausgaben wie Steuern, Sozialversicherungsbeiträge wie AHV und Pensionskasse, Krankenkassenprämien und Alimente. Komplizierter wird es bei der Prämie. Denn bei rund 50 Krankenkassen, Hunderten von Versicherungsmodellen und fünf Franchisen-Stufen stellt sich schon die Frage: Soll jede Prämie verbilligt werden? Die Unterschiede zwischen den Kassen und Modellen machen pro Monat mehrere Hundert Franken aus. Und je nach Wahl erreicht man die 10-Prozent-Marke oder nicht.

Klar ist für den Bund, dass der Kreis jener, die von Prämienverbilligungen profitieren würden, immer grösser würde. Wurden 2020 lediglich 27,6 Prozent der Versicherten unterstützt, würde bei einem Ja zur SP-Initiative bald fast jeder eine Prämienverbilligung erhalten. Dies, weil die Ausgaben für die Grundversicherung schneller steigen als die Löhne. «Längerfristig ist davon auszugehen, dass die Prämienbelastung von 10 Prozent bei fast allen Versicherten – mit Ausnahme der Bezügerinnen und Bezüger von sehr hohen Einkommen – überschritten wird», schreibt die Landesregierung.

Was kostet das und wer soll das bezahlen?

Der Bundesrat geht für das Jahr 2030 von Zusatzkosten von insgesamt 8,2 Milliarden Franken aus, wobei der Bund den Mammutanteil davon (6,5 Milliarden) stemmen müsste. Die Initianten sehen nicht ganz so schwarz: Sie sagen, dass die Mehrkosten genug Druck auf Bund und Kantone machen würden, damit diese endlich etwas gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen tun würden.

Der Bund widerspricht allerdings: Mehrkosten in dieser Grössenordnung könnten realistischerweise nicht allein durch weniger Ausgaben finanziert werden. Je nach den Umständen bräuchte es Steuererhöhungen. Gesundheitsministerin Baume-Schneider geht zudem davon aus, dass die Kosten bei einer Annahme der Initiative noch steigen könnten: «Es besteht das Risiko, dass das Kostenbewusstsein abnimmt. Bei den Kantonen, weil der Bund mehr zahlt und bei den Versicherten, weil der Anreiz sinkt, ein günstiges Modell zu wählen.»

Was sagen Bundesrat und Parlament?

Beide lehnen die Initiative ab und haben einen indirekten Gegenvorschlag gezimmert. Dieser verpflichtet die Kantone, mehr Geld für die Prämienverbilligung einzusetzen, um einkommensschwache Haushalte zu entlasten. Konkret sieht der Gegenvorschlag vor, dass die Kantone neu einen Mindestbetrag für die Prämienverbilligung aufwenden, der 3,5 bis 7,5 Prozent der Kosten der Grundversicherung entspricht. Zudem soll jeder Kanton festlegen, welchen Anteil die Prämie am verfügbaren Einkommen der Versicherten mit Wohnort im Kanton höchstens ausmachen darf. Mit dem Gegenvorschlag würden die Prämien zusätzlich um mindestens 360 Millionen Franken verbilligt werden. Der Gegenvorschlag tritt in Kraft, falls die Prämienentlastungs-Initiative abgelehnt wird und der Gegenvorschlag nicht erfolgreich mit einem Referendum bekämpft wird.

Wer ist dafür?

Für die Initiative sind bis jetzt die SP und die Gewerkschaften.

Wer ist dagegen?

Ein Nein empfehlen SVP, FDP, GLP und Mitte. Sie haben vor allem die Kosten der Initiative im Auge – die ja schliesslich auch jemand bezahlen muss. Die Mitte ist zudem überzeugt, dass ihre eigene Initiative viel eher dazu führen wird, dass die Kosten im Gesundheitswesen sinken.

Was fordert die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei?

Die Initiative will eine Kostenbremse im Gesundheitswesen einführen: Steigen die Gesundheitskosten jährlich 20 Prozent stärker als die Löhne, muss der Bund Massnahmen zur Kostensenkung ergreifen. Die Initiative sagt aber nicht, welche Massnahmen zu ergreifen sind. Klar ist: Bei einem Ja müsste der Bund sofort handeln: Zwischen 2012 und 2022 sind die Kosten der obligatorischen Krankenversicherung pro Kopf um 31 Prozent, die Nominallöhne aber nur um 6 Prozent gewachsen.

Welche Massnahmen zur Kostensenkung sind denkbar?

Die Mitte macht keine Vorgaben, aber ein paar Beispiele, wo es ihrer Meinung nach noch Luft nach oben hat:

  • Für Medikamente bezahlen wir in der Schweiz teilweise das Fünffache wie im Ausland. Durch Preissenkungen könnte man 400 Millionen Franken pro Jahr sparen.
  • Viele Operationen werden im Spital stationär gemacht statt ambulant. Mögliche Ersparnis: 1 Milliarde Franken.
  • Mit dem elektronischen Patientendossier könnten jährlich 300 Millionen Franken eingespart werden.

Das wären schonmal 1,7 Milliarden Franken – und vier Prozent der Gesundheitskosten von rund 38 Milliarden Franken.

Drohen Rationierung und Zweiklassenmedizin?

Davor warnen die Gegner der Initiative, die wenig überraschend aus den Ärztegesellschaften, Spitälern, Apotheken und Pflegeinstitutionen besteht – jenen also, die Kosten verursachen. Die Mitte-Initiative sei eine «Katastrophe für die Gesundheitsversorgung der Schweiz», schreibt etwa der Ärzteverband FMH: «Wäre die Kostenbremse-Initiative im Jahr 2000 eingeführt worden, würde heute über ein Drittel der Leistungen der Grundversicherung nicht mehr vergütet. Rationierung und lange Wartezeiten in der Grundversicherung wären die Folge.»

Die Mitte widerspricht: Die Initiative wolle nur, dass alle Gesundheitsakteure endlich ihre Verantwortung für die Kostenentwicklung übernehmen und der interne Verteilkampf zulasten der Prämienzahlenden aufhöre. Doch auch der Bundesrat sagt: Die Initiative sei zu starr und berücksichtige beispielsweise den demografischen Wandel nicht. Dadurch könne es zu Rationierungen und Zweiklassenmedizin kommen.

Was sagen Bundesrat und Parlament?

Wie bei der SP-Initiative stellen Bundesrat und Parlament auch der Mitte-Initiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber. Demnach definiert der Bundesrat alle vier Jahre, wie viel Geld das Gesundheitswesen kosten darf. Er berücksichtigt dabei aber nicht nur das Lohnwachstum, sondern auch die Alterung der Gesellschaft, den medizinisch-technischen Fortschritt und andere Faktoren. Auch die Kantone können solche Ziele festlegen. Darüber hinaus wird der Bundesrat eine Kommission für das Kosten- und Qualitätsmonitoring in der Grundversicherung einsetzen. Sie soll die Entwicklung in den einzelnen Leistungsbereichen verfolgen und für Bund und Akteure im Gesundheitsweisen Empfehlungen zu geeigneten Massnahmen vorschlagen. Für Gesundheitsministerin Baume-Schneider ist klar: «So lassen sich mehrere Milliarden Franken pro Jahr sparen, ohne Konsequenzen für die Versorgungsqualität.»

Wer ist dafür?

Bis jetzt steht die Mitte-Partei recht allein da. Der Krankenkassenverband Santésuisse immerhin unterstützt die Initiative.

Wer ist dagegen?

Ein Nein empfehlen bis jetzt SVP, FDP, GLP und SP.

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