«Keine weiteren Massnahmen nötig»
Klima-Urteil kommt unter die Räder

Die Schweiz soll das Klima-Urteil ignorieren, das fordern nun auch die Rechtspolitiker des Nationalrats. Noch in dieser Session sollen beide Kammern entscheiden.
Publiziert: 29.05.2024 um 19:03 Uhr
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Aktualisiert: 30.05.2024 um 14:08 Uhr
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Die Freude währte nur kurz. Noch im April jubelten die Klimaseniorinnen um Co-Präsidentin Rosmarie Wydler-Wälti (74). Jetzt sind sie sauer. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Schweiz verurteilt, weil sie zu wenig für den Klimaschutz mache. Doch die Rechtspolitiker des Parlaments wollen das Urteil ignorieren. Vor etwas mehr als einer Woche beantragten die Rechtspolitiker des Ständerats, eine Erklärung zu verabschieden, dass die Schweiz keinen Anlass sehe, dem Urteil weitere Folge zu leisten.

Sehr zum Ärger der Klimaseniorinnen. Die Schweiz sei verpflichtet, dieses Urteil umzusetzen. «Wir erwarten vom Bundesrat, dass er die Institutionen und den Rechtsstaat konsequent schützt und einer allfälligen Erklärung des Ständerats keine Folge leistet», sagte Wydler-Wälti, Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen, vor den Medien.

«Die Schweiz hat einiges für den Klimaschutz gemacht»

Doch nur wenige Stunden nach diesen Worten folgten die Rechtspolitiker des Nationalrats ihren Kollegen aus dem Stöckli. Eiligst wurde das Geschäft auf die Traktandenliste gesetzt – Kommissionsmitglieder klagten über wenig Vorbereitungszeit.

Es war ein Coup der Schweizer Klimaseniorinnen.
Foto: keystone-sda.ch
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Den Antrag hat Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (45) eingereicht. «Die Schweiz hat einiges für den Klimaschutz gemacht, was im Urteil noch nicht berücksichtigt wurde. Darum sind alleine aufgrund des Urteils keine weiteren Massnahmen nötig – das dürfen wir Strassburg durchaus sagen.»

Bregy erwähnt unter anderem das neue CO2-Gesetz, das das Parlament mittlerweile verabschiedet hat, oder das Stromgesetz, das am 9. Juni wohl deutlich angenommen werden dürfte. Gerade das neue CO2-Gesetz wird jedoch von Klimaforschern als zu lasch kritisiert. «Die Forscher haben eine andere Rolle», sagt Bregy. «Das Gericht hat der Schweiz nicht vorgeschrieben, Maximalforderungen umzusetzen, sondern einen grossen Ermessensspielraum bei den konkreten Massnahmen zugestanden.»

Entscheid noch in dieser Session

Der Bundesrat muss dem Ministerrat des Europarats eine Erklärung abliefern, wie er mit dem Urteil umgehen will. Der Mitte-Fraktionschef glaubt nicht, dass eine solche Erklärung dem Stellenwert des Gerichts schadet: «Im Gegenteil. Die Schweiz ignoriert das Urteil nicht, wir sagen einfach, dass zwischenzeitlich keine zusätzlichen Massnahmen mehr nötig sind.» Was passiert, wenn der Ministerrat die Erklärung nicht akzeptieren sollte, darüber will Bregy nicht spekulieren. «Diese Frage stellt sich aktuell nicht.»

Auf das Eilverfahren in der Kommission angesprochen, sagt Bregy, dass die Schweiz bereits innerhalb von sechs Monaten antworten muss. «Wir wollen dem Bundesrat mit der Erklärung den Rücken stärken und klar aufzeigen, was die Schweiz für den Klimaschutz gemacht hat.»

Das Büro des Nationalrats wird voraussichtlich am Donnerstag entscheiden, ob und wann das Geschäft behandelt wird. Denkbar ist, dass es noch in der dritten Sessionswoche in den Nationalrat kommt. Schon in der kommenden Woche wird der Ständerat entscheiden. Stimmen beide Kammern zu, wird es für den Bundesrat sehr schwierig, eine andere Position zu erklären.

Die Klimaseniorinnen geben aber nicht auf. «Die Menschenrechte unterliegen nicht politischen Mehrheiten», sagte Rosmarie Wydler-Wälti. Man erwartet vom Parlament, dass es «seiner Verantwortung nachkommt». Sollte dies nicht eintreffen, wollen die Klimaseniorinnen das Ministerkomitee des Europarats einschalten und dieses über «jegliche Entwicklungen und Unterlassungen in der Schweiz informieren».


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