Fakten zum Stromkosten-Hammer
Warum der Strom der Nachbargemeinde billiger ist

In der Thurgauer Gemeinde Braunau ist der Strom fünfmal so teuer wie in der Walliser Gemeinde Zwischbergen VS. Selbst innerhalb einzelner Gemeinden gibt es stossende Unterschiede. Blick erklärt, warum das so ist.
Publiziert: 06.09.2023 um 20:04 Uhr

Das ist ein kleiner Schocker: Für die Schweizer Haushalte steigt der Strompreis im Mittel um 18 Prozent. Die neue Winterreserve macht die Kilowattstunde 1.2 Rappen teurer. Das erklärt etwa ein Viertel der Preiserhöhung. Für einen grossen Teil des Anstiegs ist jedoch die Einkaufsstrategie der Stromversorger verantwortlich.

Das sorgt für Gesprächsstoff: Mancherorts zahlt der Nachbar 50 oder 100 Prozent mehr. In einigen Gemeinden ist der Strom gefühlt gratis. Und kleine Werke werden kritisiert, sie seien zu wenig professionell. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen. 

Wie kommen die riesigen Preisunterschiede zustande?

Stromversorger ohne längerfristige Strategie kaufen den Strom jeweils zum aktuellen Preis – und wurden von der Preisexplosion nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs im vergangenen Jahr völlig überrollt. Andere beschaffen ihn über längere Zeit in Tranchen oder haben langfristige Verträge.

Mehr als 99 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer haben keine Wahl, wo sie den Strom einkaufen.
Foto: STEFAN BOHRER
1/10

Angenommen, ein Versorger kauft den Strom für ein bestimmtes Jahr jeweils auf drei Jahre verteilt ein: Dann fallen nun günstigere, ältere Tranchen weg, während teurere zum aktuellen Preis hinzukommen. Zudem gibt es Versorger, die in der Krisenzeit Angst bekommen und sehr viel Strom zu sehr ungünstigen Konditionen gekauft haben. 

Warum gibt es in der Schweiz so viele Stromversorger?

Das ist historisch gewachsen: Die Gemeinden haben sich im föderalistischen Sinn selbst um die Stromversorgung gekümmert. Aktuell gibt es noch rund 630 Elektrizitätsunternehmen. Dabei handelt es sich um regionale Kleinversorger bis hin zu internationalen Energiekonzernen. Die meisten befinden sich im Eigentum der öffentlichen Hand. Rund 70 Prozent sind reine Verteilunternehmen. Sie haben keine eigenen Kraftwerke, produzieren selbst also keinen Strom, sondern kaufen diesen vollumfänglich ein. 

Und einige dieser kommunalen Stromversorger haben sich im letzten Jahr gehörig verzockt. Die Turbulenzen auf dem Strommarkt haben sie schlicht überfordert. «Ich gehe davon aus, dass die Einkäufe nicht überall mit der nötigen Professionalität erfolgt sind», sagte Elcom-Präsident Werner Luginbühl (65) an der Pressekonferenz am Dienstag. Für die Kundinnen und Kunden kann das teure Folgen haben. 

Wieso schliessen sich die kleinen Elektrizitätswerke nicht zusammen?

Für Andreas Tresch (33) vom Energie-Beratungsunternehmen Enerprice in Root LU ist der Fall klar: Es fehle schlicht der Anreiz. Er sagt: «Die Elektrizitätswerke können in ihrer Monopolsituation Gewinn erwirtschaften. Zudem gehören die Elektrizitätswerke oft den Gemeinden – das Geld, das durch die Elektrizitätswerke in die Gemeindekasse gespült wird, ist dort sehr willkommen.» Gemäss dem Energieexperten dürfen die Elektrizitätswerke ihre Stromeinkaufspreise inklusive eines angemessenen Gewinnes den Kunden weiterverrechnen – egal wie teuer sie den Strom eingekauft haben.

Machen Grossversorger wirklich die bessere Arbeit?

Die Grossversorger bewegen sich preislich im Mittelfeld: Die grossen Ausreisser nach oben bleiben bei ihnen aus. Bei der BKW kostete die Kilowattstunde in den letzten zehn Jahren zwischen 21 und 27.5 Rappen. Aktuell sind es rund 30 Rappen. Damit liegt die BKW rund zwei Rappen unter dem Schweizer Mittel. Der verhältnismässig geringe Anstieg ist auf die hohe Eigenproduktion zurückzuführen.

Grossanbieter wie Romande Energie im Waadt oder Groupe E im Freiburg bewegen liegen knapp über dem Mittel. Bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich profitieren die Haushalte in den letzten zehn Jahren von Tarifen von 14.7 bis 17.1 Rappen – dank günstigem Einkaufspreis am Markt. Ab 2024 kostet die kWh mit 31.61 Rappen nur noch leicht weniger als im Landesmittel. 

Klein und günstig – alles nur Glück?

Der Kanton Aargau ist das Extrembeispiel, wenn es um Kleinversorger geht: Rund 100 Werke kümmern sich um die Stromversorgung des Kantons. Und der Kanton ist auch bei den Kosten Spitze. Mit 34.82 Rappen pro kWh ist er nach Neuenburg der zweitteuerste. Ist die harte Kritik an den Kleinen also gerechtfertigt? Markus Wey (57), Geschäftsführer der Elektra Widen Betriebs AG und Präsident der Elektra Hermetschwil, hält dagegen: «Ich kann nicht verstehen, warum die Elcom und andere jetzt auf die kleinen Versorger eindreschen», sagt er. 

Als Miniwerk hat er für die Gemeinde Widen einen Tarif von 21.75 Rappen herausgeholt. Das ist deutlich weniger als die 34.82 Rappen des grosses, kantonalen Anbieters, AEW Energie AG. «Auch wenn bei einigen kleinen Anbietern die Tarife stark gestiegen sind, liegen sie im langjährigen Schnitt oft noch tiefer als die Grossversorger», so Wey. Er berät im Aargau mehrere kleine und mittelgrosse Versorger und sieht in den Strukturen klare Vorteile: «Fronarbeit und Effizienz führen dazu, dass die Netzkosten bei den Kleinen in vielen Fällen deutlich niedriger sind als bei den Grossen.»

Ein weiteres Beispiel ist Bussnang TG: Die 2500 Einwohner zahlen im nächsten Jahr 21.98 Rappen pro kWh. Der tiefste Preis in der Ostschweiz und gut zehn Rappen weniger als im Schweizer Schnitt. Gemeindepräsident Ruedi Zbinden (61) erklärt: «Wir kaufen unseren Strom mit einer langfristigen Strategie beim Versorger EKT und nicht an der Strombörse ein. So haben wir einen professionellen Partner.» In der Vergangenheit sei man mit dieser Strategie etwas teurer als die günstigsten Gemeinden gewesen. «Doch jetzt zahlt es sich aus, dass wir daran festgehalten haben», so der Präsident. 

Warum spielt der Wettbewerb nicht?

Das liegt am Gesetz: Es dürfen nur grosse Stromabnehmer, die mehr als 100'000 Kilowattstunden Strom im Jahr verbrauchen, ihren Stromanbieter frei wählen. Ein durchschnittlicher 4-Personen-Haushalt verbraucht rund 5000 Kilowattstunden pro Jahr. Mehr als 99 Prozent aller Endkunden haben keine Wahl, wo sie den Strom einkaufen. Für Andreas Tresch gibt es nur einen einzigen Anreiz, warum sich die Elektrizitätswerke für günstige Tarife einsetzen: «Jedes Jahr im Spätsommer publiziert die Eidgenössische Elektrizitätskommission Elcom die Schweizer Karte mit den Stromtarifen in den einzelnen Gemeinden. Da stehen die teuren Gemeinden jeweils im medialen Fokus.»

10 oder 12 Rappen pro kWh – wie kann da sein?

In der teuersten Gemeinde Braunau TG ist der Strom mit 50.62 Rappen pro kWh rund fünfmal so teuer wie die günstigsten Zwischbergen VS mit 10.22 Rappen pro kWh. Während bei den aller teuersten Gemeinden Fehler in der Einkaufsstrategie zentral sind, spielt in den günstigsten Gemeinden Glück oft eine entscheidende Rolle: «Wir müssen den Strom nicht auf dem freien Markt beschaffen, sondern erhalten ihn zu sehr günstigen Konditionen», sagt Sebastian Arnold (37), Präsident der Gemeinde Simplon. Die Dorfbewohner zahlen gerade mal 12.82 Rappen pro kWh. 

Auf dem Boden der Gemeinde Simplon VS steht ein grosses Wasserkraftwerk. Der Konzessionsvertrag regelt zwischen Kraftwerksbetreiber und Gemeinde die Wassernutzung sowie den Strompreis für die Gemeinde. Der Vertrag läuft noch bis 2037. Gerade in den Kantonen Wallis und Graubünden profitieren einige Gemeinden von derartigen Stromdeals. 

Wie kann es sein, dass sogar innerhalb einer Gemeinde völlig unterschiedliche Tarife gelten?

Kurios: In der Gemeinde Eggersriet SG zahlt ein Teil der über 2300 Einwohner günstige 23.58 Rappen pro kWh –und der andere stolze 45.19 Rappen. Der Grund ist simpel. Die Dörfer Eggersriet und Grub hatten vor ihrer Fusion eigene Elektrizitätswerke, die nach wie vor getrennt operieren. Zwischen den Anbietern wählen kann die Bevölkerung nicht. Bei einem praktisch doppelt so hohen Preis würde dem teureren Versorger sonst ziemlich schnell der Saft ausgehen. Vergleichbare Fälle gibt es praktisch in der ganzen Schweiz: In Rapperswil BE oder Grono GR bestehen für die Haushalte seit der Gemeindefusion drei unterschiedliche Stromtarife.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.