Neuer Elektro-Crossover 600e schon gefahren
Fiat bläst sein Kultauto auf

Schaut aus wie der legendäre Cinquecento, aber mit mehr Platz: Mit dem Stadt-SUV 600e mit 156 PS und 406 Kilometern Reichweite treibt Fiat die Elektrifizierung seiner Modellpalette voran. Aber so ganz traut sich der italienische Autobauer dann doch nicht.
Publiziert: 20.09.2023 um 11:39 Uhr
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

Fiat ist auch eine Zeitmaschine. Die Stellantis-Marke erinnert sich immer gern an ihre glorreiche Vergangenheit, als ganz Südeuropa ihre Autos fuhr und Heckmotor-Kleinwagen im Norden des Kontinents für italienischen Lifestyle standen. Das klappt auch als Konzept: Der 2007 reanimierte Kult-Kleinwagen Cinquecento im Retro-Style ist bis heute das meistverkaufte Modell im Programm und schaffte es 2020 sogar ins Elektro-Zeitalter.

Logisch, startet auch die Geschichte des neuen Fiat 600e auf dem Dach des alten Fiat-Werks in Torino-Lingotto (I). Der Crossover klaut beim Designkonzept des elektrischen 500e, bietet aber als Familienstromer mit fünf Sitzen und einem halben Meter mehr Länge mehr Platz und 360 bis 1230 Liter Ladevolumen. «Ein Upgrade zum 500e», sagt Fiat-Europachef Gaetano Thorel und zieht die Parallele zu den 1950er-Jahren und den 500er- und 600er-Modellen von damals. Leider geschummelt, denn der Fiat 600 kam zwei Jahre vor dem kleineren 500er. Blick sagt lieber: Mit so viel Jöh-Faktor wurde die Stellantis-Elektroplattform noch nie verpackt.

Design alla Cinquecento

Draussen Fiat mit Scheinwerfern wie halb geöffneten Augen, breitem Frontgrill-Grinsen und vielen Chromdetails, die, wie im Fall der Heckleuchten, schon den Ur-600er von 1955 zierten. Und darunter gibts Stellantis-Konzerntechnik, wie sie auch in Jeep Avenger, Peugeot e-2008 und Opel Mokka Electric steckt. Also mit der weiterentwickelten Plattform, die neu 156 statt 136 PS (115 kW statt 100 kW) leistet, jetzt 51 Kilowattstunden (kWh) Nettokapazität bietet und den 600e mit einer Batterieladung 406 Kilometer weit bringt – «fast 600 Kilometer weit im Stadtverkehr», sagt Thorel.

Fiat legt nach bei seinen Stromern: Im Herbst startet mit dem Fiat 600e das zweite rein elektrische Modell der italienischen Stellantis-Tochter.
Foto: Zvg
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Los gehts – zuerst eine Runde durch eine der Steilkurven auf dem Dach und dann die Rampen hinunter. Statt dem nervigen, weil zögerlichen Wippschalter der Markenschwestern gibts Drucktasten für Fahrtrichtung und Rekuperation. Rückgewinnen können wir bergab noch keinen Strom, der Akku ist voll und prophezeit 404 Kilometer. Trotz Frontantrieb zupfts nicht in der Lenkung, die allerdings ein bisschen ungefähr und nicht so präzise wie im Jeep Avenger agiert.

Was ist Lingotto?

Lingotto ist ein Stadtteil von Turin (I), den es wohl kaum gäbe, hätte Fiat dort ab 1916 nicht das damals modernste Autowerk der Welt gebaut. Im Jahr 1923 – also vor 100 Jahren – fertiggestellt, rollten hier rund 80 Modelle von Fiat und den Töchtern Alfa Romeo und Lancia von den Bändern. Die Fliessbänder verliefen vom Erdgeschoss aus nach oben – beinahe bis aufs Flachdach, auf dem ein Rundkurs mit zwei Steilkurven als Teststrecke diente, auf der jedes fertige Auto ein paar Runden absolvieren musste. Runter gings dann auf spiralförmigen Rampen, die Fiat heute noch gerne als Fotokulisse für neue Modelle nutzt.

Im Jahr 1982 war dann fertig mit Fabrikation, das Werk verfiel – bis sich die Stadt Turin erbarmte und es zum Einkaufszentrum mit Hotel umbaute. Den Rundkurs gibts noch immer als schmale Strasse zwischen Grünanlagen. Seit 1989 thront darüber eine blaue Kuppel, in deren aufgeheizter Atmosphäre viele Jahre die Fiat-Konzernleitung über ihren Entscheidungen brütete. Mit dem Verkehrschaos Turins hatten die Bosse dabei nichts zu tun – sie konnten im Heli direkt davor landen.

Lingotto ist ein Stadtteil von Turin (I), den es wohl kaum gäbe, hätte Fiat dort ab 1916 nicht das damals modernste Autowerk der Welt gebaut. Im Jahr 1923 – also vor 100 Jahren – fertiggestellt, rollten hier rund 80 Modelle von Fiat und den Töchtern Alfa Romeo und Lancia von den Bändern. Die Fliessbänder verliefen vom Erdgeschoss aus nach oben – beinahe bis aufs Flachdach, auf dem ein Rundkurs mit zwei Steilkurven als Teststrecke diente, auf der jedes fertige Auto ein paar Runden absolvieren musste. Runter gings dann auf spiralförmigen Rampen, die Fiat heute noch gerne als Fotokulisse für neue Modelle nutzt.

Im Jahr 1982 war dann fertig mit Fabrikation, das Werk verfiel – bis sich die Stadt Turin erbarmte und es zum Einkaufszentrum mit Hotel umbaute. Den Rundkurs gibts noch immer als schmale Strasse zwischen Grünanlagen. Seit 1989 thront darüber eine blaue Kuppel, in deren aufgeheizter Atmosphäre viele Jahre die Fiat-Konzernleitung über ihren Entscheidungen brütete. Mit dem Verkehrschaos Turins hatten die Bosse dabei nichts zu tun – sie konnten im Heli direkt davor landen.

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Sportlich und recht sparsam

Macht nichts, weil dadurch in der Stadt das Fahren weniger nervös wird. Unser 600e spurtet flott los, solange man nicht die Hälfte der Pferde per Eco-Fahrmodus in den Schlaf schickt, federt eher sportlich, rekuperiert kräftig und kommt nach rund 120 Kilometern mit knapp 260 Kilometern Restreichweite an. Beim Laden fehlt leider ein Upgrade: An der Wallbox liegen nur 11 kW Ladeleistung drin; am Gleichstrom-Schnelllader nur 100 kW. In 27 Minuten gehts so von 20 auf 80 Prozent – Modelle der Konkurrenz schaffens in der gleichen Zeit von 10 auf 80 Prozent. Anhängerbetrieb ist nicht möglich und damit entfällt ab Werk auch die Möglichkeit, auf einer Kupplung einen Fahrradträger abzustützen.

Im Cockpit zeigt ein 7-Zoll-Display den Tacho und die wichtigsten Infos. Fürs Infotainment gibts einen Touchscreen mit 10,25 Zoll (circa 26 Zentimeter) Diagonale. Das Platzangebot geht in Ordnung, weil die Sitze 22 bis 30 Millimeter höher montiert wurden als im 500e – das schafft Beinfreiheit. Ihre Bezüge bestehen aus 200 recyclierten PET-Flaschen, über 30 Prozent des Stahls ist wiederverwertet und auch 10 Prozent des Plastiks. Leider gibts von Letzterem recht viel – wo immer man im Interieur klopft, tönt es hart. Auch wenn sich die Designer bei den Oberflächen Mühe gegeben haben, das zu verbergen.

Fiat 600e

Antrieb Elektromotor, 156 PS (115 kW), 260 Nm, Frontantrieb, Akku netto 51 kWh, Laden AC/DC 11/100 kW
Fahrleistungen 0–100 km/h in 9,0 s, Spitze 150 km/h, Reichweite WLTP 406 km
Masse L/B/H 4,17/1,78/1,52 m, Gewicht 1520 kg, Laderaum 360–1230 l
Umwelt WLTP 15,2 kWh/100 km, 0 g/km CO₂ lokal, Energieklasse A
Preise Einstiegsversion «RED» ab 38'190 Franken, «La Prima» ab 44'190 Franken.

zvg

Antrieb Elektromotor, 156 PS (115 kW), 260 Nm, Frontantrieb, Akku netto 51 kWh, Laden AC/DC 11/100 kW
Fahrleistungen 0–100 km/h in 9,0 s, Spitze 150 km/h, Reichweite WLTP 406 km
Masse L/B/H 4,17/1,78/1,52 m, Gewicht 1520 kg, Laderaum 360–1230 l
Umwelt WLTP 15,2 kWh/100 km, 0 g/km CO₂ lokal, Energieklasse A
Preise Einstiegsversion «RED» ab 38'190 Franken, «La Prima» ab 44'190 Franken.

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Zwei Versionen – basta!

Die grösste Neuerung steckt aber im Vertriebsmodell: Zwei Versionen müssen genügen, entweder Red zum Beispiel in Aufpreis-freiem und hübschem Rot oder die La-Primera-Edition mit allen Extras wie elektrischer Heckklappe und Massagesitzen vorn. «Die Kunden wählen Version und Farbe – fertig», sagt Thorel. Das entspanne die Käuferinnen, reduziere den Produktionsaufwand und senke die Kosten. Nimmt den Garagisten aber auch den Spielraum für Rabatte oder geschenkte Optionen. Noch gibts keine Schweizer Preise, aber Blick schätzt: Die Basisversion dürfte Ende Oktober knapp unter 37'000 Franken starten.

Noch traut sich Fiat aber nicht, nur die Elektroversion des neuen 600ers anzubieten. Denn auf dem wichtigen Heimmarkt Italien machen E-Autos aktuell kaum 5 Prozent des Marktes aus, erklärt Thorel. Für ausgewählte Länder solls daher im kommenden Jahr auch einen Hybrid mit 100 PS starkem Benziner und einem 28 PS leistenden 48-Volt-Elektromodul geben. Gut möglich, dass auch die Schweiz dazugehören wird.

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