Fit oder fett: Zähne
Wenn das Übel an der toten Wurzel liegt

Wenn auch der x-te Arzt nicht helfen kann, liegt die Wurzel des Übels möglicherweise an einem toten Zahn. Eine Sanierung ist zwar teuer, aber nichts zu tun, kann noch viel mehr kosten.
Publiziert: 06.12.2016 um 10:57 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 18:00 Uhr
Werner Vontobel
Werner VontobelFitness-Experte

Ist ein Zahn erst einmal kaputt, ist die Wurzelbehandlung die billigste Lösung. Der Zahnarzt tötet ab, was an Nerv noch übrig bleibt, desinfiziert den Wurzelkanal und füllt ihn auf. Der Zahn ist nun zwar tot, erfüllt aber alle Funktionen weiter. Dass dieser Eingriff als unbedenklich und harmlos gilt, hat zwei ungute Gründe: Erstens treten die Folgen meist erst viel später auf und zweitens meist auch nicht am Zahn, sondern irgendwo.

«Oft kommen Leute zu mir, die seit Jahren an einer chronischen Entzündung wie etwa Rheuma, Schuppenflechten, Gürtelrose oder Atherosklerose leiden und schon alles ausprobiert haben», erzählt der Arzt John van Limburg Stirum von der Seegarten-Klinik in Kilchberg ZH. Oft stelle sich dann heraus, dass das Leiden nach wenigen Wochen verschwindet, wenn erst einmal die toten Zahnwurzeln entfernt worden sind. Aufgrund seiner Erfahrungen schätzt van Limburg Stirum die Wahrscheinlichkeit, dass «ungeklärte» chronische Entzündungen durch tote Zähne ausgelöst werden, auf «weit über 50 Prozent».

Damit widerspricht der Kilchberger Allgemeinmediziner dem aktuellen Stand des Wikipedia-Wissens. Danach wird bei der Wurzelkanalbehandlung «der innere Teil des Zahns gefüllt, um in völlig bakterienfrei zu machen». Ferner steht da, dass Erfolgschancen der Behandlung bei rund 90 Prozent liegen. Unter den möglichem Komplikationen wird angeführt: «Besonders hartnäckige Mikroorganismen wie etwa Enterococcus faecalis oder Candida albicans, die bis zu 0,4 mm tief in Dentintubuli eindringen.»

Zahnaufbau: Unter dem weissen Zahnschmelz steckt das Zahnbein, auch Dentin genannt (hier Lachsfarben). Darin verlaufen die Wurzelkanäle (in Orange) mit Nerven und Blutgefässen. Der Teil des Zahns, der aus dem Zahnfleisch herausschaut, heisst Krone. Der Teil beim Übergang ins Zahnfleisch ist der Zahnhals. Der unsichtbare Teil unten ist die Zahnwurzel. Beige gesprenkelt sieht man auf dem Bild den Knochen, in den der Zahn eingebettet ist.
Foto: Thinkstock

Weston A. Price und seine Kaninchen

Genau  um diese Tubuli, die feinen Kanälchen im Dentin sprich Zahnbein, geht es. Sie haben schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Aufmerksamkeit des amerikanischen Zahnarztes Weston A. Price auf sich gezogen. Er interessierte sich insbesondere für den Zusammenhang zwischen Zahngesundheit und allgemeinem Gesundheitszustand. Dabei fiel ihm auf, dass Patienten mit schlechten Zähnen auffällig oft an chronischen Entzündungen in Gelenken, Bindegewebe, Herz, Hirn, Nervensystem sowie Nieren und Augen litten. Er verglich die Bakterien an diesen Entzündungsherden mit denen in Mund und Zähnen. Das brachte ihn dazu, tote Zahnwurzeln zu entfernen. Und siehe da -  danach verbesserte sich der Zustand oft fast über Nacht.

Price wollte es genauer wissen. Als Präsident der US-Zahnärztekammer verfügte er über ein Forschungsinstitut und stellte ein Team von 60 Forschern zusammen. Sie untersuchten die Bakterienpopulationen in den feinen Kanälchen im Dentin und führten Hunderte von Experimenten durch. Er pflanzte die Zahnwurzeln der Patienten ins Fettgewebe von Kaninchen ein. In der Regel litten diese schon bald an Entzündungen der genau gleichen Organe. 1923 fasst Price die Ergebnisse seiner Untersuchungen in einer Dokumentation von 1174 Seiten zusammen. (Kurzfassung hier) Dann wurde die Sache vergessen....

Fast 100 Jahre später traf es sich, dass sich der Zahnarzt George E. Meining, Gründer der Vereinigung amerikanischen Zahnwurzelspezialisten (Association of Root Canal Specialists), ebenfalls für gesunde Ernährung interessierte und dabei auf die Studie von Weston Price stiess. Obwohl er selbst Tausende von Zahnwurzeln vermeintlich bakteriendicht sterilisiert hatte, leuchtet ihm die Kritik an der Methode ein. Er veranlasste, dass die Experimente von Price wiederholt wurden und veröffentlichte 1993 das Buch «Root Canal Cover up», das seither immer wieder neu aufgelegt wird und auch Nachfolger gefunden hat. (Infos auf Deutsch hier)

Auch Zähne sind lebende Organe

Doch wie kommt es, dass die Wurzelbehandlung bei uns noch immer ein Standard-Verfahren ist? Für van Limburg Stirum liegt es vor allem daran, dass Zähne noch immer als isoliertes Problem angesehen werden. Zahnärzte sehen sich als Spezialisten für Zähne. Punkt. Und die meisten Patienten sehen es genau so. Inzwischen gibt es allerdings immer mehr Zahnärzte, die begreifen, dass auch Zähne leben, einen Stoffwechsel haben und mit den anderen Organen verbunden sind. (Adressliste siehe hier)

Zu diesen Zahnärzten gehören auch Gabor Rosa vom Gesundheitszentrum QuantiSana Wartensee in Rorschacherberg SG und Jürgen Noack vom Zentrum für Integrale Zahnmedizin in Schüpfen BE. Rosa sagt: «Auch heute ist es völlig unmöglich, die gut 2 Kilometer Wurzelkanälchen in einem toten Zahn bakterienfrei zu bekommen. Im Gegenteil: Mit jeder Wurzelbehandlung bringe ich neben dem Leichengift der toten Zähne noch weitere Giftstoffe wie Antibiotika, Formaldehyd usw. in den Körper.» Nach seinen Erfahrungen spielen diese Gifte bei allen chronischen Krankheiten und oft auch bei Depressionen zumindest eine Nebenrolle.

Noack hat seit mehr als zehn Jahren mit Wurzelbehandlungen aufgehört, nachdem es über kurz oder lang immer wieder zu Komplikationen gekommen ist. Seither habe er Tausende von wurzelbehandelten Zähnen entfernt und damit «zu über 90 Prozent den Patienten Erleichterung von unterschiedlichsten Beschwerden gebracht».  In einem Fall seien die Asthmabeschwerden noch während der Operation schlagartig verschwunden.

Lücke, Brücke oder Implantat

Was soll man tun wenn man schon wurzeltote Zähne hat, und was kostet das? Zuerst kommt das Röntgenbild, das inzwischen eh fast alle Zahnärzte machen. Darauf erkennt man die toten Zahnwurzeln, die gemäss van Limburg Stirum immer zumindest mit einem latenten Entzündungsherd verbunden sind. Mit einem OroTox-Test (ca. 80 Franken pro Zahn), kann man weiter feststellen, wie stark die Entzündungsherde sind. Die seitlichen Zähne verursachen laut Noack besonders häufig Komplikationen. Dann sollte man zumindest mal den am meisten gefährdeten Zahnherd sanieren, also entweder mit einer Lücke, einer Brücke oder mit einem Implantat ersetzen. Kostenpunkt ca. 5000 Franken pro Zahn.

Die Sanierung der Zähne kann also zu einer teuren Sache werden. Lohnt sich das? Für van Limburg Stirum sieht die Rechnung so aus: «Chronische Krankheiten kosten schnell viele Zehntausend Franken. Kommen ein Verdienstausfall oder Operationen dazu, wird der Schaden schnell mal siebenstellig, plus die Einbusse an Lebensqualität.» Umkehrt schätzt er die Chance, ohne Schaden davon zu kommen auf deutlich unter 50 Prozent. Rechne!

Ob und wann ein toter Zahn Probleme macht, hängt immer auch vom allgemeinen Gesundheitszustand, bzw. vom Zustand der Immunabwehr ab. Dabei spielt auch die Mundhöhle eine wichtige Rolle. Mehr davon in einem späteren Beitrag.

Das Wesentliche in Kürze

Zähne sind nicht tote Materie, sondern lebende Organe. Wird ein Zahn durch das Abtöten des Nervs vom Köper isoliert, fault er langsam vor sich hin und wird zum chronischen Entzündungsherd. Ein vollkommen intaktes Immunsystem kann damit ohne sichtbare Schäden fertig werden. Doch auf Dauer geht das selten gut. „Unerklärliche“ Beschwerden aller Art hängen mit toten Zähnen zusammen – und verschwinden, wenn am diese entfernt. Genauso wie der Chirurg eine kaputte Niere nicht „sterilisiert“, sondern entfernt.

Zähne sind nicht tote Materie, sondern lebende Organe. Wird ein Zahn durch das Abtöten des Nervs vom Köper isoliert, fault er langsam vor sich hin und wird zum chronischen Entzündungsherd. Ein vollkommen intaktes Immunsystem kann damit ohne sichtbare Schäden fertig werden. Doch auf Dauer geht das selten gut. „Unerklärliche“ Beschwerden aller Art hängen mit toten Zähnen zusammen – und verschwinden, wenn am diese entfernt. Genauso wie der Chirurg eine kaputte Niere nicht „sterilisiert“, sondern entfernt.

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