Bürgenstock, Nemo, Niger
Die Schweiz ist zurück!

Corona, Bankenkrise, Neutralität: Die Schweiz war jahrelang mit sich selbst beschäftigt. Doch Nemos Erfolg beim ESC und die bevorstehende Bürgenstock-Konferenz zeigen: Soft Power können wir.
Publiziert: 02.06.2024 um 16:12 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Kaum jemand in der Schweiz interessiert sich für Niger. Zwar besuchten Bundesrat Ignazio Cassis (63) und Nationalratspräsidentin Irène Kälin (37) im Februar 2022 das «ärmste Land der Welt», wie die prominente Grüne damals sagte. Denn Niger ist wichtig für die Schweiz; es gilt als afrikanische Drehscheibe der Migration. 

Die Präsenz in Niamey zahlt sich nach dem Militärputsch offenbar aus. Am Montag war Aussenminister Bakary Yaou Sangaré (59) in der Schweiz. «Niger hat sein Interesse an den Guten Diensten der Schweiz bestätigt», teilt das EDA mit – ein aussenpolitischer Erfolg für Aussenminister Cassis.

Mit Niger, Tschad und Mosambik hat die Schweiz in Afrika nun drei Vermittlungsmandate: Die Schweiz leistet gute Dienste und vermittelt zwischen Konfliktparteien. Damit beweist Cassis: Trotz massiver Kürzungen im Bereich der Entwicklungshilfe kann die Schweiz Soft Power.

Viola Amherd und Ignazio Cassis bereiten eine hochkarätige Konferenz vor ...
Foto: Keystone
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Die Schweiz kann es der Welt nicht recht machen

Das ist nicht selbstverständlich, denn das Ausland fremdelt mit der Schweizer Aussenpolitik. Für den Westen ist die Schweiz nicht westlich genug; für die EU nicht europäisch genug; für Russland und den globalen Süden nicht neutral genug. 

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs musste der Bundesrat schmerzhaft lernen, dass die geopolitischen Gewissheiten von einst nicht mehr funktionieren. In Zeiten des Multilateralismus konnte die Schweiz noch als neutrales Land punkten. Doch die Ära globaler Kompromisse scheint beendet. «Die USA ziehen die Schaffung flexibler Koalitionen vor», schreibt das EDA in einem internen Dokument, das SonntagsBlick mithilfe des Öffentlichkeitsgesetzes einsehen konnte. «Zahlreiche Experimente sind im Gange.»

EDA-Diplomaten lästern über «Uncle Sam»

Doch ob Ukraine-Taskforce, G7 oder G20: Die Schweiz macht entweder nicht mit oder sitzt, wie bei der Konferenz der zwanzig führenden Wirtschaftsmächte, am Katzentisch. «Die USA haben sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die Schweiz nicht genug tut», steht in einem internen EDA-Papier. Zwar sei die Kommunikation der Vereinigten Staaten «nicht immer kohärent». Doch der US-Botschafter in Bern, Scott Miller (45), teile der Schweiz «auf Weisung Washingtons» regelmässig «die Erwartungen an eine klare Ausrichtung im westlichen Lager mit». Süffisant nennen EDA-Diplomaten Washington auch «Uncle Sam». 

Angesichts dessen konstatiert das EDA eine «variable Geometrie» und illustriert dies am Beispiel USA und China: «Im Kampf gegen den Klimawandel wird eine Zusammenarbeit angestrebt, während in Handelsfragen Rivalitäten offen zur Schau gestellt werden. Die Schweiz muss ihre Rolle definieren.» In Zeiten solcher weltpolitischen Widersprüche könnten die Guten Dienste der eidgenössischen Diplomatie eine Renaissance ermöglichen. Davon zeugt auch die Bürgenstock-Konferenz, die in zwei Wochen beginnt.

Amherds Fehleinschätzung

Zwar dämpfen Absagen aus den Reihen der Brics-Staaten die Vorfreude. Hoffnungsfrohe Andeutungen von Bundespräsidentin Viola Amherd (61), positive Signale aus Brasilien, Indien, China und Südafrika erhalten zu haben, stellten sich als verfrüht heraus: Peking und Brasília haben abgesagt, Pretoria steckt mitten im Wahlkampf – lediglich aus Neu-Delhi liegt eine Zusage vor. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) ist zuversichtlich, dass insgesamt 100 Staaten teilnehmen werden. Bisher jedoch gibt es nicht mehr als 80 Anmeldungen.

Das VBS widerspricht einem «NZZ»-Bericht, wonach Departementschefin Amherd eine Teilnahme Russlands «von Beginn an» ausgeschlossen habe: «Die Aussage stimmt nicht.» Da sich Russland bereits vor einer offiziellen Einladung gegen eine Teilnahme ausgesprochen habe, «hat sich eine Einladung erübrigt», teilt das VBS mit.

SVP-Standleitung zu Gabriel Lüchinger

Recherchen von SonntagsBlick haben ergeben, dass auch die SVP-Magistraten bei der Bundesratssitzung am Freitag keineswegs dafür plädierten, Moskau um eine Teilnahme an der Bürgenstock-Konferenz zu ersuchen. Die von der «NZZ» kolportierte These, Albert Rösti (56) und Guy Parmelin (64) hätten sich in der Landesregierung für eine Einladung Putins ausgesprochen, klingt ohnehin abwegig. Würde dies zutreffen, hätten die beiden direkt bei ihrem Parteifreund und ehemaligen Mitarbeiter Gabriel Lüchinger (47) intervenieren können. Botschafter Lüchinger, bei dem die Bürgenstock-Fäden zusammenlaufen, war unter SVP-Chef Rösti Generalsekretär und später Parmelins persönlicher Mitarbeiter.

Mittlerweile hat der Bundesrat den Zeitplan der Konferenz bekannt gegeben: Von der Eröffnung am Samstag, 15. Juni, um 16.30 Uhr bis zur Medienkonferenz am Sonntag um 16 Uhr stehen weniger als 24 Stunden für die Verhandlungen zur Verfügung.

Grosses Sommermärchen

Unabhängig vom Ausgang der Konferenz steht fest: Für das Land ist sie ein historisches Ereignis. Noch nie in der jüngeren Geschichte waren so viele Staats- und Regierungschefs Gast der Schweiz. Das Treffen auf dem Bürgenstock könnte wie ein Booster für das helvetische Ansehen in der Welt wirken. Zumal sich weitere Grossereignisse ankündigen: Im Juni 2025 trägt die Schweiz den Eurovision Song Contest aus, im Juli folgt die Fussball-Europameisterschaft der Frauen. 

Nach Corona-Blues, CS-Grounding und ewiger Bekräftigung der Schweizer Neutralität freut sich Bern bereits jetzt auf ein grosses Sommermärchen – und auf noch mehr Soft Power.

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