Tabu-Thema Stuhl-Inkontinenz
Oft leicht heilbar!

Die Krankheit wird meist totgeschwiegen: Dabei trifft Inkontinenz alle Altersgruppen, darunter auch junge Sportler und Mütter. Gut zu wissen: Sie ist oft leicht heilbar.
Publiziert: 22.08.2016 um 17:18 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 16:18 Uhr
Attila Albert
Alles sauber: Was für die meisten gegeben ist, benötigt manchmal ärztliche Hilfe.
Foto: Getty Images

Wenn es eine Erkrankung gibt, über die man weder sprechen noch nachdenken will, dann ist das Inkontinenz. Und doch betrifft sie rund 160'000 Schweizer. «Stuhlverlust an einem unpassenden Ort oder zu einer unpassenden Zeit», wird das Problem elegant umschrieben. Will heissen: Es geht etwas in die Hose, und man kann nichts dagegen tun, merkt es vielleicht anfangs gar nicht.

«Vielen ist unklar, dass Inkontinenz alle Altersgruppen betrifft und in vielen Fällen bereits eine halbstündige Operation helfen kann», sagt Chirurg und Darmspezialist PD Dr. Daniel Dindo (44) von der Hirslanden-Klinik Zürich. Es sind vor allem drei Irrtümer und die grosse Scham, die Betroffene jahrelang quälen – oft weiss nicht einmal der Partner oder Hausarzt von der Not.

  • Irrtum 1: Inkontinenz ist eine typische Erkrankung alter Menschen. «Tatsächlich leiden bei den über 60-Jährigen bis zu 20 Prozent der Frauen und bis zu 10 Prozent der Männer unter Inkontinenz», sagt Dindo. «Aber Studien zeigen, dass auch 7 Prozent der 20- bis 30-Jährigen betroffen sind.» Darunter Mütter, denen bei der Geburt eines Kindes die Beckenboden- oder Schliessmuskulatur oder nahe Nerven geschädigt werden. Oder Bauarbeiter und Sportler (z.B. Wingsuit-Jumper), die abstürzen und sich das Gesäss verletzen.
     
  • Irrtum 2: Ich muss einfach damit leben. «Kann jemand in einem Meeting oder bei körperlichen Anstrengungen seinen Stuhldrang nicht mehr beherrschen, ist das eine enorme psychische Belastung», sagt Facharzt Dindo. Manche verstecken ihre verschmutzte Wäsche jahrelang vor dem Partner, andere schämen sich seit Kindheit für ihre vermeintliche Unsauberkeit. Oder sie glauben, das sei im Alter eben normal. Dindo: «Spezialisten können heute aber fast immer helfen.»
     
  • Irrtum 3: Nur ein künstlicher Darmausgang hilft. Ärzte haben je nach Ursache vielfältige Therapiemöglichkeiten. Oft genügt es, die Ernährung umzustellen (mit viel pflanzlichen Ballaststoffen) oder den Beckenboden mit Computerhilfe zu trainieren. Ist der Schliessmuskel beschädigt, kann ihn der Arzt rekonstruieren (siehe Ratgeberspalte). Dindo: «Das Anlegen eines künstlichen Darmausgangs ist extrem selten und dann eine Option, wenn alle andere Möglichkeiten nicht geholfen haben.»
Daniel Dindo (44), Chirurg und Darmspezialist PD der Hirslanden-Klinik Zürich, mit einem Beckenmodell.
Foto: ZVG

Inkontinenz gibt es in verschiedenen Ausprägungen: Bei manchen führen bereits Blähungen zum Malheur. Andere spüren den Stuhldrang, ihnen bleiben aber maximal zwei Minuten bis zur Toilette. Dindo: «Empfehlenswert ist, früh zum Arzt zu gehen, nicht ewig still für sich zu leiden. Oft ist nicht einmal eine Operation notwendig.»

Mögliche Ursachen: Diabetes, Multiple Sklerose, Milchzuckerallergie, Operationen

Gelegentlich ist die Inkontinenz auch Begleiterscheinung einer anderen Erkrankung, etwa von Diabetes, Multipler Sklerose oder Milchzuckerallergie. Auch manche Patienten, die Medikamente gegen psychische Erkrankungen nehmen, leiden darunter. Hier genügt oft schon ein Wechsel der Medikamente, führen diese zu Durchfall oder sehr flüssigem Stuhl. Eine weitere Ursache können frühere Operationen im Enddarm sein, etwa wegen Krebs oder Hämorrhoiden, die unbemerkte Schäden an Nerven oder Muskeln hinterlassen haben. Dindo: «Das betrifft vor allem Eingriffe vor langer Zeit, als man darauf noch nicht so geachtet hat.»Hier kann in vielen Fällen eine weitere Operation helfen.

Häufiger Grund für unnötige Heimeinweisung

Die körperlichen Folgen lesen sich im Vergleich zum seelischen Leiden minimal: Hautreizungen, Jucken oder Blutungen im Intimbereich. Doch viele Betroffene leiden auch unter einer belasteten Sexualität, weil sie aus Scham oder Angst körperliche Nähe meiden.

Dazu ist Inkontinenz bei älteren Menschen einer der häufigsten Gründe für eine Einweisung ins Pflegeheim – oft vermeidbar bei richtiger Therapie. «Wann genau eine Behandlung sinnvoll ist, lässt sich nicht festlegen», sagt Dindo. «Der Leidensdruck ist individuell.» Entscheidend: «Es ist ein verbreitetes Problem, Betroffene sind nicht allein, und man kann etwas dagegen tun.»

Impulsgeber im Rücken

Eine Methode, Inkontinenz zu beseitigen, ist die sogenannte Neurostimulation: Dabei setzt der Arzt Betroffenen einen elektrischen Impulsgeber im Bereich des Gesässes ein. Dieser ist etwa so gross wie ein Fünffränkler und gibt über einen feinen Draht eine Spannung von 0,1 bis 2 Volt in den Beckenbereich ab, aktiviert dadurch die Muskulatur.

Vor dem Eingriff testet der Arzt ein bis drei Wochen lang mit einem externen Stromgeber, ob die Methode überhaupt wirkt. Verbessert sich die Inkontinenz eines Patienten deutlich oder verschwindet ganz, setzt er den Impulsgeber dauerhaft ein.

Die Operation unter lokaler Betäubung dauert eine halbe Stunde. Die Batterie des Impulsgebers hält sechs Jahre, dieser ist unter der Haut nicht fühlbar.

ZVG

Eine Methode, Inkontinenz zu beseitigen, ist die sogenannte Neurostimulation: Dabei setzt der Arzt Betroffenen einen elektrischen Impulsgeber im Bereich des Gesässes ein. Dieser ist etwa so gross wie ein Fünffränkler und gibt über einen feinen Draht eine Spannung von 0,1 bis 2 Volt in den Beckenbereich ab, aktiviert dadurch die Muskulatur.

Vor dem Eingriff testet der Arzt ein bis drei Wochen lang mit einem externen Stromgeber, ob die Methode überhaupt wirkt. Verbessert sich die Inkontinenz eines Patienten deutlich oder verschwindet ganz, setzt er den Impulsgeber dauerhaft ein.

Die Operation unter lokaler Betäubung dauert eine halbe Stunde. Die Batterie des Impulsgebers hält sechs Jahre, dieser ist unter der Haut nicht fühlbar.

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Das können Arzt oder Ärztin bei Inkontinenz tun

Ursachensuche

Im Vorgespräch sucht der Arzt Ursachen: Unfälle oder Geburt eines Kindes, Fehler bei einer früheren Darmoperation, zu dünner Stuhl (z. B. wegen Allergie, Diabetes)

Muskelstärke-Test

Per Finger-Untersuchung prüft die Ärztin, wie stark der Schliessmuskel ist. Kann der Patient ihn ausreichend an- und entspannen? Ist er gerissen oder geschädigt, näht sie diesen operativ.

Ernährung

Bei zu flüssigem Stuhl oder abrupten Entleerungen nach Verstopfung rät der Arzt zu einer ballaststoffreicheren Ernährung – oder stellt eventuell Medikamente um.

Biofeedback

Manche Patienten müssen lernen, die Muskeln ihres Beckens anzusteuern. Sie üben mit einer Sonde im Enddarm – auf einem Monitor werden die jeweils aktiven Muskeln angezeigt.

Neurostimulation

Ein elektrischer Impulsgeber, der die Beckenmuskulatur anregt, kann allein helfen – oder eine Schliessmuskel-Operation ergänzen.

Hilfe

Ein Gespräch mit der Hausärztin oder einem Spezialisten; und die Schweizerische Gesellschaft für Blasenschwäche: inkontinex.ch

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Im Vorgespräch sucht der Arzt Ursachen: Unfälle oder Geburt eines Kindes, Fehler bei einer früheren Darmoperation, zu dünner Stuhl (z. B. wegen Allergie, Diabetes)

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Per Finger-Untersuchung prüft die Ärztin, wie stark der Schliessmuskel ist. Kann der Patient ihn ausreichend an- und entspannen? Ist er gerissen oder geschädigt, näht sie diesen operativ.

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